„Eine bankenunabhängige Finanzierung ist wortwörtlich überlebenswichtiger denn je“ – Interview mit Marc Speidel, Lewisfield Deutschland GmbH

 

Die Lewisfield Deutschland GmbH ist ein Beratungshaus für mittelständische Unternehmen. Das in Berlin ansässige Unternehmen gehört dabei auch zu den wichtigsten Financial Advisors am KMU-Anleihemarkt und hat bereits eine Vielzahl von Anleihe-Emissionen begleitet. Die aktuellen gesamtwirtschaftlichen Herausforderungen sind im Mittelstandsegment deutlich spürbar, darüber und über die Bedeutung alternativer Finanzierungsquellen haben wir mit dem Geschäftsführer Marc Speidel gesprochen. 

Anleihen Finder: Herr Speidel, Sie betreuen mittelständische Unternehmen bei Finanzierungsmaßnahmen und der Kapitalbeschaffung. Wie ist es derzeit – in Zeiten von Ukraine-Krieg, exorbitanten Energiepreisen, steigender Inflation und Zinsanstieg – um die (Re-)Finanzierungen des deutschen Mittelstandes bestellt? Kann der Finanzierungsbedarf ausreichend gedeckt werden und gibt es genügend Investoren?

Marc Speidel: Das Bild ist aktuell sehr heterogen. Einige Unternehmen kommen sehr gut durch die Krise, andere Unternehmen sind stark durch Lieferengpässe beeinträchtigt. Die hohen Energiepreise werden wohl erst „Stück für Stück“ spürbar werden, die hohe Inflation und die veränderte Zinslandschaft nehmen wir heute schon wahr. Es sind zwar ausreichend Investoren im Markt vorhanden, allerdings nehmen wir verstärkt zur Kenntnis, dass Investoren renditestarke Alternativinvestments wahrnehmen, ohne auf die sonst attraktiven KMU-Anleihe-Kupons angewiesen zu sein.

Anleihen Finder: Warum hakt es aktuell gerade bei Kapitalmarkt-Finanzierungen – etwa bei neuen Anleihe-Emissionen?

„Neue KMU-Anleihefinanzierungen nur noch mit höheren Zinssätzen“

Marc Speidel: Investoren vergleichen in solchen Marktphasen viel stärker als sonst verschiedenste Investment-Angebote auf die Liquidität, Rendite und Bonität der zugrunde liegenden Emittentin. Aufgrund der aktuell vorherrschenden Zins- und Inflationslandschaft sind attraktive Investments in bonitätsstarke Emittenten mit wenig Renditeabschlag möglich. Kurzum: Sollte die Situation anhalten oder sich verschärfen, werden neue KMU-Anleihefinanzierungen nur noch mit höheren Zinssätzen oder einer für Investoren attraktiveren Struktur (z.B. Besicherung) möglich sein.

Anleihen Finder: Wie ist in dieser Hinsicht Ihre Prognose für die zweite Halbjahreshälfte? Wird es neue vielversprechende Anleihen am KMU-Markt geben?

Speidel: Ich denke, wir werden einige attraktive Neuangebote sehen. Vor allem Bestandsemittenten werden aufgrund Ihres über viele Jahre im Markt aufgebauten Vertrauens mit neuen Anleihen antreten. Underberg war hier sicherlich erst der Anfang in Sachen Bestandsemittenten. Neue Titel werden es im aktuellen Marktumfeld schwer haben. Ich denke, daran wird sich kurzfristig leider auch nichts ändern, die oben beschriebene Zurückhaltung wird mindestens noch bis in den Winter anhalten. Auch um absehen zu können, welche Entwicklungen sich in Sachen Covid-19 oder – viel wichtiger – im Energiemarkt abzeichnen werden.

„Bestandsemittenten werden mit neuen Anleihen antreten, neue Titel werden es schwer haben“

Anleihen Finder: Welche Branchen sind Ihrer Ansicht nach bei Investoren besonders gefragt, welche eher weniger?

Marc Speidel: Ich denke, hier gibt es keinen Unterschied zwischen „unserem“ KMU-Markt und dem Gesamtmarkt. Erneuerbare Energien sind aufgrund der aktuellen Entwicklung am Strom- und Gasmarkt für die kommenden Jahre immer noch sehr attraktiv, wir nehmen hier eine auf hohem Niveau weiter steigende Nachfrage wahr. Unternehmen mit herausfordernden Lieferketten, aber auch Unternehmen welche aktuell durch Preiserhöhungen stärker als der Durchschnitt betroffen sind und diese nicht an den Endverbraucher weitergeben können, werden eher untergewichtet.

Anleihen Finder: Kommen wir konkret zu Ihrer Tätigkeit. Abwann sind Sie als Financial Advisor bei einer neuen Anleihe-Emission gefragt? Was gehört alles zu Ihrem Aufgabenbereich – wo und wie unterstützen Sie das emittierende Unternehmen?

Marc Speidel: Wenn Sie uns als Lewisfield Deutschland fragen, kommen wir gerne bereits deutlich vor einem etwaigen Kapitalmarkteintritt mit dem Emittenten in Kontakt. Wir sind davon überzeugt, dass sich ein Unternehmen bzw. eine Emittentin sehr vorausschauend auf eine geplante Anleihe-Emission vorbereiten sollte. Das beginnt mit interner Vorbereitung im Controlling, in der Buchhaltung sowie im Treasury und endet mit der Erstellung von Testaten (der Emittentin) für eine mögliche Emission einer Inhaberschuldverschreibung. Das ist auch der Grund unserer Kooperation mit der One Crowd Gruppe in Dresden. Wir sehen hier eine Vielzahl an Unternehmen, welche in den kommenden Jahren definitiv Interesse am KMU – Kapitalmarkt haben. Wir sehen aber auch, dass frühzeitig eine professionelle Vorbereitung benötigt wird, um diesen Schritt sinnvoll und erfolgreich umsetzen zu können.

Anleihen Finder: Welche Kriterien müssen Unternehmen bzw. potenzielle Emittenten erfüllen, um von Ihnen begleitet zu werden?

„Geschäftsmodell und Kapitalbedarf müssen zu den Anleihen-Anforderungen passen“

Marc Speidel: Es gibt viele Gründe, die für oder gegen ein Engagement sprechen. Manchmal sind wir als Lewisfield Deutschland nicht der richtige Partner, dann empfehlen wir einen Kooperationspartner der besser zum Bedarf des Unternehmens passt als wir. Grundsätzlich sollte das Unternehmen ein nachhaltiges Geschäftsmodell (bezogen auf Umsätze und die ESG-Kriterien) vorweisen können. Brücken- oder Refinanzierungsanfragen sind nicht immer für eine Anleihe-Emission passend. Am Ende muss das Geschäftsmodell und der Kapitalbedarf auch auf die sehr standardisierten Anforderungen von Inhaberschuldverschreibungen (Laufzeit, Verzinsung und Rückzahlung) passen.

Anleihen Finder: Was macht eine gute Emittentin am Kapitalmarkt aus?

Speidel: Hier lernen wir von Jahr zu Jahr dazu. Vor einigen Jahren hätte ich sicherlich auf die betriebswirtschaftlichen Kennzahlen wie Eigenkapital-Quote, EBITDA oder Verschuldungsgrad verwiesen. Nach den letzten zwei Jahren sind wir meiner Meinung nach schlauer. Es gibt zahlreiche Unternehmen die unter der Covid-19 Pandemie, dem Ukraine-Krieg und den Lieferengpässen sehr stark leiden, trotz guter Finanzkennzahlen sind die Unternehmen damit stark unter Druck geraten.

„Investoren haben kein Verständnis für mangelnde Kommunikation“

Ich bin davon überzeugt, dass, gerade in unserem „kleinen“ KMU-Markt, eine regelmäßige und transparente Kommunikation mit den Investoren das „A und O“ ist. Nahezu alle Investoren haben Verständnis für die aktuelle Situation einiger Unternehmen. Sie haben aber absolut kein Verständnis für mangelnde Kommunikation. In der aktuell angespannten Zeit sollte man ehrlich berichten. Gerade die schlechten Nachrichten müssen frühzeitig und transparent offengelegt werden. Nur so kann mit genug Vorlauf beispielsweise vor einer Anleihefälligkeit mit den Bestandsinvestoren gesprochen und Möglichkeiten ausgelotet werden. Auch können dann noch mögliche Neuinvestoren gefunden werden. Eine unbedarfte Berichterstattung in solchen Zeiten führt zu Sorglosigkeit der Beteiligten und möglicherweise zu Enttäuschungen am Ende der Produktlaufzeit.

Anleihen Finder: Was müssen mögliche Emittenten bei Anleihe-Emissionen oder auch Börsengängen bedenken? Welche Anforderungen kommen auf die Unternehmen zu?

Marc Speidel: Das schließt sich unmittelbar an die letzte Antwort an. Den Unternehmen muss klar sein, dass sie Geld anderer Leute annehmen. Genauso wie die Hausbanken regelmäßig anrufen, sich Zahlen vorlegen lassen und nach dem aktuellen Stand des Unternehmens fragen, ist es das Recht von Gläubigern diese Information zu erhalten. Das Unternehmen muss grundsätzlich gesprochen, in der Lage (und Willens) sein, Zahlen zu kommunizieren, regelmäßige Updates zur Geschäftsentwicklung zu geben und mit den Investoren in einen Austausch zu treten.

„Den Unternehmen muss klar sein, dass sie Geld anderer Leute annehmen“

Grundsätzlich sind zudem fast immer Testate der letzten beiden Geschäftsjahre sowie eine aussagekräftige Geschäftsplanung notwendig. Einige Unternehmen, gerade aus dem (Immobilien-) Projektgeschäft, kommen schwer mit der Endfälligkeit einer Inhaberschuldverschreibung zurecht, hier muss geprüft werden, ob es sinnvolle Alternativen gibt.

Anleihen Finder: Viele Unternehmer schrecken vor dem Gang zum Kapitalmarkt zurück – sie sehen eher firmeninterne Umstrukturierungen und Mehr-Aufwand auf sich zukommen. Was entgegen Sie diesen Unternehmern? Warum ist der Weg auf den Kapitalmarkt für KMUs durchaus sinnvoll und vorteilhaft?

Marc Speidel: Wir sehen doch gerade aktuell, aufgrund der steigenden Zinsen und der hohen Inflation, eine starke Zurückhaltung der Hausbanken. Die „Zahlen“ der KMU-Unternehmen werden aufgrund der herausfordernden letzten beiden Geschäftsjahre schlechter, die Banken erwarten aber bessere Bonitäten für Ihre Finanzierungsmöglichkeiten. Eine bankenunabhängige Finanzierung ist wortwörtlich überlebenswichtiger denn je. Ich spreche hier nicht von einer reinen Kapitalmarktfinanzierung, aber als Ergänzung sehe ich aktuell kaum Alternativen. Gerade in der jetzigen Zeit eine Beimischung von Verbindlichkeit mit längerer Laufzeit und Endfälligkeit zur klassischen Bankenlinie in der Bilanz zu haben, bringt bessere Banken-Bewertungen und flexiblere Möglichkeiten der (Re-) Finanzierung mit sich. Hier ist es aber wie bereits erwähnt wichtig, frühzeitig zu planen, Refinanzierungen anzugehen und mit allen Gläubigern offen zu kommunizieren. Denn wer nicht nach Hilfe fragt, kann keine Hilfe erwarten!

Anleihen Finder: Herr Speidel, besten Dank für das Gespräch.

Anleihen Finder Redaktion.

Foto: pixabay.com

Portraitfoto: Marc Speidel, Lewisfield Deutschland GmbH

Hinweis: Dieses Interview erschien zunächst in der neuen Ausgabe des Anleihen Finder Newsletters (August-1-2022).

Quelle: „Eine bankenunabhängige Finanzierung ist wortwörtlich überlebenswichtiger denn je“ – Interview mit Marc Speidel, Lewisfield Deutschland GmbH – Anleihen-Finder.de