„Vertrauen wird nur langsam gewonnen ist aber umso schneller verspielt“

Benötigt es überhaupt einen Financial Advisor bei einer Emission — und welches sind die Lehren aus den letzten zwölf Monaten? BondGuide sprach mit Marc Speidel von Lewisfield Deutschland. 

BondGuide: Herr Speidel, 2020 versprach zunächst eine relativ nahtlose Fortsetzung des starken Emissionsjahres 2019 zu werden. Wie haben Sie das zweite Quartal 2020 wahrgenommen?
Speidel: Uns war genau so klar wie wohl allen anderen, dass es für zwei, drei Monate höchstwahrscheinlich unmöglich sein würde, ein Produkt am KMU-Anleihemarkt zu platzieren. Mit unseren Bestandskunden haben wir aber gleich von Anbeginn der Coronakrise einen Plan aufgesetzt, wie wir dem Kapitalmarkt und damit allen Investoren die Auswirkungen transparent und vertrauensfördernd kommunizieren können. Natürlich haben wir parallel in puncto KfW-Kredite oder alternative Refinanzierungsmöglichkeiten beraten. Inzwischen sieht es bereits wieder deutlich besser aus: Kapitalmarkttransaktionen kehrten schon Anfang Juni zurück.

BondGuide: Und wie schätzen Sie ein, wie es im zweiten Halbjahr weitergeht — kehrt „Normalität“ zurück, auch am Emissionsmarkt? Immerhin bleiben die Themen Basel IV etc. die gleichen wie Ende 2019.
Speidel: Nicht zur Gänze, denke ich. Einige Veränderungen werden dauerhafter Natur bleiben. Ich bin überzeugt, dass die Coronakrise den Themen ESG und Nachhaltigkeit einen bleibenden Rückenwind beschert hat. Da werden wir einfach einen gewissen Wandel sehen, z.B. beim Fokus der Emissionen hinsichtlich der Branchen. Auch Investoren wurden wachgerüttelt, sind angehalten, neu nachzudenken und sich vermehrt in Richtung Branchen zu orientieren, die das Thema Nachhaltigkeit zukünftig stärker fokussieren. Wer zudem in diesem Jahr aufzeigen kann, dass er keine oder nur geringe Coronaauswirkungen hat, wird es sicherlich leichter haben als andere — unabhängig davon, ob eine Refinanzierung oder eine Neuemission ansteht.

BondGuide: Einige Branchen werden es wahrscheinlich sogar ganz schwer haben in puncto Emissionen — u.a. die Automobilbranche und ihre Zulieferer.
Speidel: Davon kann man zweifellos ausgehen, und speziell diese meinte ich soeben auch mit proaktiver Kommunikation. Am KMU-Anleihemarkt haben wir diverse Emittenten aus diesem Sektor. Investoren wollen und müssen gut informiert werden — nur so können sie ihre Engagements evaluieren. Emittenten, die ihren Corona-Impact klar kommunizieren, noch besser beziffern können, werden einen Vorteil haben gegenüber denen, die weiterhin nur auf Sicht fahren und gar nichts kommunizieren können — oder wollen. Investoren zeigen mitunter großes Verständnis — wenn man sie davon überzeugt, wo man aktuell steht und wo die Reise zukünftig hingeht. Man holt sie thematisch ab.
BondGuide: Wie etwa bei der Neuen ZWL Zahnradwerk Leipzig?
Speidel: Die NZWL ist Wiederholungsemittent, seit 2014 in regelmäßigen Abständen. Es geht also gleich um mehrere Anleihen am Kapitalmarkt, aktuell um vier. Alle vier Anleihen stehen zwar noch nicht wieder bei pari, sind aber auch nicht mehr weit davon entfernt. Das ist meiner Einschätzung nach das Ergebnis transparenter Kapitalmarktkommunikation, des Einhaltens von Versprechen sowie Erreichens, von gesetzten Zielen in der Vergangenheit. Einige Emittenten haben womöglich sogar einen geringeren Corona-Impact, aber trotzdem notieren ihre Anleihen nach wie vor noch weiter unter Nennwert. Vertrauen wird nur langsam gewonnen, oft über Jahre hinweg — der Vertrauensverlust geht allerdings bedeutend schneller.
BondGuide: Gibt es eigentlich eine generelle Notwendigkeit, einen Financial Advisor an Bord zu haben? Wir haben häufig den Eindruck, dass Emittenten mit halbfertigem Setup zu reüssieren versuchen, aber dann sind die Strukturen schon festgefahren.
Speidel: Theoretisch kann ein Emittent darauf verzichten, sicher. Anders jedoch als die weiteren Emissionsteilnehmer wie etwa der Prospektanwalt oder die betreuende Wertpapierbank, beraten wir zunächst einmal ergebnisoffen und hängen sozusagen nicht direkt am Erfolg einer Kapitalmarkttransaktion. Womöglich bekommen wir eine einfache Hausbankfinanzierung, eine Bilanzoptimierung oder die Kapitalüberlassung eines Debt Fund im Rahmen eines klassischen Darlehens strukturiert, die für das Unternehmen besser passt. Ich schließe mich Ihrer Einschätzung an, dass wir – oder jeder andere Financial Advisor — eher früh als spät involviert werden sollten. So kommt es, wie wir beobachten, zu Emissionen, bei denen wir ganz klar fragen: Ist die Gesellschaft wirklich bereit für den Kapitalmarkt oder hätte man anstelle dessen nicht noch ein Jahr an der Struktur optimieren sollen bzw. dem Unternehmen die Zeit geben, etwas weiter zu reifen?
BondGuide: Eine teure Lehre für Emittenten?
Speidel: Die Rechnung ist doch einfach: Ein gutes Setup zur Emission, wohlüberlegte Strukturen und eine gute Kommunikation sparen Kapitalkosten im sechsstelligen Bereich. Und noch mehr, wenn man es auf die üblichen fünf Jahre Anleihelaufzeit hochrechnet, ganz zu schweigen von Folgeemissionen. So viel kostet kein einziger Financial Advisor.
BondGuide: Was sind denn die gängigsten Unachtsamkeiten, wenn nicht gar Fehler?
Speidel: Es sind häufig ganz simple Grundlagen, die gern vernachlässigt werden, dann aber sehr teuer kommen können. Dies fängt bei den Covenants an und mündet in der erwähnten generellen Frage, ob man die Kapitalmarktfähigkeit nicht doch eher erst in einem halben oder in einem Jahr erreicht. Man muss schließlich sehen, dass ein zu wenig vorbereiteter Gang an den Kapitalmarkt nicht nur die erhofften Emissionserlöse zu gefährden vermag, sondern auch einen womöglich dauerhaften Reputationsverlust für den Emittenten bedeuten kann. Daher erlaube ich mir den Hinweis, dass bei dieser Überlegung, ob mit Financial Advisor oder nicht, häufig die Betrachtung des Chance-Risiko-Verhältnisses aus Sicht des potenziellen Emittenten nicht stimmt. Die Folgen können kostspielig sein – auch für Investoren.
BondGuide: Innerhalb welchen Setups arbeiten Sie am liebsten?
Speidel: Aus meiner Sicht am liebsten mit einer professionellen KapitalmarktIR-Agentur. Denn das Thema Marketing und vor allem die Kapitalmarktkommunikation innerhalb einer Emission ist nicht direkt unsere Kernkompetenz oder Aufgabe. Falls das Unternehmen schon eine aktiennotierte AG ist, dürfte die Handhabe von Investor Relations selbstverständlich sein und kann schnell auf Anleiheemissionen angepasst werden. Natürlich benötigt man noch einen Prospektanwalt seines Vertrauens für eine Emission. Hier muss man auch achtgeben: Das sollte eine Kanzlei der Wahl des Emittenten, nach Abstimmung mit dem Financial Advisor, sein. Es kann, aber muss nicht notwendigerweise die Wahl der betreuenden Emissionsbank sein. Häufig haben die emissionsbegleitende Bank und der Emittent sogar verschiedene juristische Dienstleister. Meiner Ansicht nach sollte der Emittent, beraten von seinem Financial Advisor, das letzte Wort haben.
BondGuide: Einige Emissionen sind mit öffentlichem Angebot, andere ohne sogenannte institutionelle Privatplatzierungen ohne öffentliches Angebot, kurz iPPoöA. Welche Gründe gibt es eigentlich, auf ein öffentliches Angebot zu verzichten, schließt man dabei doch Privatanleger kategorisch aus? Speidel: Das sind exakt zwei Gründe. Der erste ist der Zeitfaktor: Ein Wertpapierprospekt und all seine Abstimmungsrunden mit der BaFin oder einer anderen Behörde beanspruchen nun einmal mehrere Monate, im Schnitt zwei bis drei. Der zweite Grund sind Offenlegungen. Nicht jeder Mittelständler möchte oder kann interne Details im Wertpapierprospekt darlegen, ohne Nutznießung durch Konkurrenten zu befürchten. Manchmal sind diese Sorgen zwar unbegründet, aber trotzdem gibt es sie, wenn man Kunden, Lieferanten etc. nicht für alle sichtbar beim Namen nennen möchte. Ein Konsens wäre, die Kapitalmarktfähigkeit über ein iPPoöA zu testen und später den Weg einer öffentlichen Kapitalmarkttransaktion zu wählen.
BondGuide: Thema ESG und Nachhaltigkeit — inzwischen fast gang und gäbe bei jeder Emission. Wird das Thema nicht schon etwas zu hoch gekocht?
Speidel: Sowohl als auch. Einerseits können wir die Bedeutung nicht mehr wegdiskutieren, andererseits ist ein gewisser Überbietungswettbewerb zu beobachten. Sinn der Sache kann nicht sein, dass beispielsweise Automobilzulieferer danach unterschieden werden, ob sie eine grüne LED pro Fertigungsteil mehr verbauen als die Konkurrenz. Alle Automobilhersteller der Welt werden von heute auf morgen nicht ausschließlich E-Fahrzeuge auf die Straße bringen. Das ist eine Transformation, die viele Jahre in Anspruch nehmen wird.
BondGuide: Auch die Ratings oder Zertifizierungen als „Green Bond“, das sollte man nicht vergessen, sind vom Emittenten bezahlt.
Speidel: Das ist nun mal das Modell bei Ratings, und ein besseres wurde bisher nicht gefunden. Entweder verteufelt man alle Ratings bei allen Emittenten oder man akzeptiert, dass es vom Emittenten in Auftrag gegeben und bezahlt wurde. Dadurch sollte man jedoch nicht meinen, dass z.B. ein Green-Bond-Status gekauft werden könne oder leicht arrangiert wäre. Das Urteil muss sich ein Unternehmen oder Instrument schon selbst verdienen.
BondGuide: Herr Speidel, ganz herzlichen Dank für die mehr als aufschlussreichen Einblicke!

Das Interview führte Falko Bozicevic.

Quelle: BondGuide Spezial „Anleihen 2020“ https://www.bondguide.de/wp-content/epaper/epaper-2020-BondGuide-Anleihen/#20