„Der Eine oder Andere wird einfach von der Realität eingeholt“

Das Jahr 2020 hatte zweifellos seine Herausforderungen. Die Lewisfield Deutschland ist eine der aktivsten Financial Advisors am Markt für KMU-Anleihen und saß bei vielen Emissionen daher in der ersten Reihe. BondGuide sprach mit Geschäftsführer Marc Speidel.

BondGuide: Herr Speidel, zunächst einmal: Wie beurteilen Sie das Jahr 2020, hier speziell die Emissionstätigkeit, die sicherlich unter den schwierigsten Verhältnissen seit langem zu laborieren hatte?

Speidel: Wir müssen uns klar darüber sein, dass wir erst 2021 einen genaueren Blick unter die Oberfläche dessen werfen können, was Corona-bedingt angerichtet wurde. Einige Bilanzen werden bei Investoren sicherlich auf wenig Zustimmung stoßen. Wir müssen zweifellos zwischen einzelnen Branchen unterscheiden. Dass in diesem Umfeld keine Vollplatzierungen mehr zu erreichen waren, überrascht niemanden. Der eine oder andere hat sich aber möglicherweise auch ein wenig viel zugetraut.

BondGuide: Wurden Investoren im Zuge dessen vorsichtig oder gar übervorsichtig?

Speidel: Ein bekanntes, wie auch nachvollziehbares Phänomen. Institutionelle Investoren haben in schwierigeren Börsenzeiten naheliegenderweise weniger Liquidität zur Verfügung und halten sich dann auch durchaus völlig branchenunabhängig von neuen Engagements fern. Das werden wir auch ins Jahr 2021 mit hinübernehmen. Investoren werden die 2020er Geschäftszahlen zwar als „Corona-Abschlüsse“ zur Kenntnis nehmen, aber die sind eben auch nicht gerade geeignet, kurzfristig „Geschmack auf Mehr“ zu wecken.

BondGuide: Wir sprachen ja zuletzt vor rund einem halben Jahr – sehen Sie Ihre seinerzeitigen Einschätzungen eher bestätigt oder im Gegenteil?

Speidel: Sowohl als auch. Unsere Einschätzung zum Bedeutungsgewinn von ESG-Themen hat sich vollauf bestätigt. Nicht gedacht hatte ich zu dem Zeitpunkt allerdings, dass sich die konjunkturelle Erholung und die Rückkehr von Liquidität an den Märkten so dahinziehen, wie wir es derzeit beobachten. Als wir seinerzeit im Juni sprachen, schien sich die Welt von Corona sogar schneller als erwartet wieder freizuschwimmen – von einem neuerlichen Lockdown wenige Monate später war absolut nicht die Rede.

BondGuide: Nun haben wir ja in diesem Jahr erneut eine bunte Mischung aus Sektoren gesehen – wie gewohnt mit Schwerpunkt Real Estate –, ferner auch einen Mix aus öffentlichen Angeboten und institutionellen Privatplatzierungen. Ist dieser Status-quo in Stein gemeißelt oder sehen Sie, dass sich da irgendetwas tut?

Speidel: Mehr oder weniger sehe ich hier auch eine gleichbleibende Tendenz sowohl bei den Branchen als auch bei den Platzierungsformen. Der Sektor Real Estate hat sich seinen Status über Jahre hinweg erarbeitet. Natürlich wird sich der eine oder andere Emittent auf Basis der Erfahrungen dieses Jahres überlegen, ob er mit einer KMU-Anleihe an die Öffentlichkeit geht oder eventuell auf ein anderes Finanzierungsinstrument zurückgreift. Gerade im Immobilienbereich hatten wir 2020 solche Beispiele. Natürlich geht das nur bei Emittenten, die auch wirklich realistische Alternativen auf die Beine zu stellen vermögen.

BondGuide: 2020 ist auch das Jahr, in dem nach längerer Zeit mal wieder über Prolongationen gesprochen werden musste. „Corona-Abschlüsse“ sind eben auch nicht gerade geeignet, kurzfristig „Geschmack auf Mehr“ zu wecken.

 

Speidel: Richtig, z.B. wie bei eterna oder mit wenig gutem Ausgang Behrens. Und das werden wahrscheinlich nicht die letzten bleiben. Das Thema Endfälligkeit trifft ja keinen Emittenten aus heiterem Himmel. Ich kann also nur dazu raten, sich sehr rechtzeitig um auslaufende Finanzmarktinstrumente zu kümmern und sich nicht auf eine Umsetzung in den letzten sechs oder zwölf Monaten zu verlassen. Kommen externe Faktoren ins Spiel, auf die niemand Einfluss hat – wie 2020 mit Corona –, ist jede vorherige Planung über den Haufen geworfen. Hier muss ich jedoch alle Emissionsteilnehmer und -begleiter mit in die Pflicht nehmen: Dem Emittenten klarzumachen, dass das Thema Endfälligkeit rechtzeitigst adressiert wird, ist eine der Aufgaben von uns Financial Advisors sowie den begleitenden Wertpapierhandelsbanken.

BondGuide: Wie etwa bei der Neuen Zahnradwerk Leipzig, NZWL?

Speidel: Die NZWL ist ein gutes Beispiel. Der Emittent hat mit seinen inzwischen diversen Anleihen Fälligkeiten in jedem Jahr von 2021 an bis aktuell 2025 – keine davon mit einem problematisch großen Volumen. So konnte die NZWL bereits ansparen für die nächste anstehende Fälligkeit Anfang 2021, ohne bei der jüngsten Emission auf einen einzigen Euro für die Refinanzierung angewiesen zu sein.

BondGuide: ESG-Themen immerhin haben in diesem Jahr eine zunehmende Rolle gespielt, beginnend gleich im Januar mit Veganz bis hin zu ganz aktuell Greencells, die sogar mit einer GreenBond-Zertifizierung aufwarteten. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

Speidel: ESG-Themen werden ganz deutlich zunehmend wichtiger. Investoren stehen unter Druck, diese Faktoren mehr und mehr zu berücksichtigen. Und das wird in den kommenden Jahren noch signifikant an Deutlichkeit und Bedeutung gewinnen. Bei ESG-Themen sollte man eben nicht nur an erneuerbare Energien denken, sondern dies zieht viel, viel weitere Kreise. Veganz, den ersten Emittenten dieses Jahres, hatten Sie selbst erwähnt.

BondGuide: … teilweise muss man allerdings konstatieren, dass einiges in diesem Bereich hanebüchen wirkt und geradezu nach Greenwashing schreit. Sehen Sie auch die Gefahr, dass bei Investoren eine Art Übersensibilisierungsreaktion ausgelöst werden könnte, praktisch wie ein Heuschnupfen?

Speidel: Die ESG-Thematik wird einfach noch eine ganze Weile heterogen bleiben, das ist auch nachvollziehbar. So sehen wir Green Bonds mit oder auch ohne Zertifizierung als solche, oder auch als Green Bonds zertifizierte Emissionen, wo man schon genauer hinsehen muss, um es zu verstehen. Dazwischen gibt es alle erdenklichen Abstufungen. Ich würde das ein wenig mit dem Bio-Siegel bei Lebensmitteln vergleichen.

BondGuide: Es gibt also so etwas wie einen Wettlauf um Siegel oder Zertifizierungen?

Speidel: Nun, das Gegenteil wollen wir aber auch doch alle nicht: einen Monopolisten, der seine Standards einfach diktieren könnte. Was, wenn der nur auf CO2-Einsparung abstellt? ESG hat mehrere Buchstaben, und dazu gehören u.a. gute und sichere Arbeitsbedingungen, in anderen Bereichen das Tierwohl und vieles weitere mehr.

BondGuide: Kommen wir ruhig noch einmal zurück auf das Emissionsjahr 2020, und zwar unabhängig von den Herausforderungen rund um Corona. Welche Fehler in Setups bei Emissionen – ohne Namen zu nennen – haben Sie beobachtet?

Speidel: Einige Emittenten, die zum ersten Mal den Kapitalmarkt adressieren, unterschätzen diesen Weg offenbar nach wie vor ein bisschen oder sind schlecht und einfach noch zu früh dran oder zu jung für eine solche Transaktion. Der Eine oder Andere wird dann von der Realität eingeholt. Diese Beobachtung hat sich in diesem Jahr nicht nur bestätigt, sondern sogar verstärkt. Ebenfalls kritisch sehe ich, dass Anleiheinvestoren mit mittleren einstelligen Zinskupons gelockt werden, während der Emittent im Hintergrund irgendwelchen Debt Fonds zweistellige Renditen bei Besicherung zahlt. Das kommt gar nicht gut an. Nicht klar strukturierte und/oder kommunizierte Transaktionen erfahren dann auch mal Ablehnung am Kapitalmarkt.

BondGuide: Seit kurzem gibt es weitere drei Buchstaben am Markt: WSF. Wie bedeutend schätzen Sie diese Perspektive ein? Man hört ja vielerorts, dass Antragstellung und Genehmigungsverfahren alles andere als simpel seien.

Speidel: Ich kann Ihnen mit einem gewissen Stolz ganz aktuell mitteilen, dass die Lewisfield Deutschland in diesen Tagen einen ersten Antrag auf WSF Gelder erfolgreich über die Ziellinie gebracht hat. Die Emittentin hatte darüber ja auch bereits berichtet. Der eine oder andere Antrag schlummert zudem noch in gewissen Stadien des Antragsprozesses. Der WSF ist eine wichtige Ergänzung zu Landesbürgschaften und KfWMitteln. Und es gibt einen gewichtigen Unterschied: Beim WSF können die Gelder direkt vom Bund kommen, so dass die problematische Mithaftung, u.a. eine Kapitalüberlassung, zusätzlicher Intermediäre wie beispielsweise bei KfWMitteln nicht notwendig ist. Aber ich kann nur alle Interessierten warnen: Der Beantragungs- und Genehmigungsprozess ist anspruchsvoll und sollte vorab genau abgewogen werden.

BondGuide: Es gibt ja aber auch die Möglichkeit, eine WSF besicherte Anleihe zu begeben. Was halten Sie von dieser Möglichkeit?

Speidel: Es gibt bisher leider noch keine Erfahrungsberichte zu diesem Thema. Natürlich sind wir erst einmal dankbar dafür, dass der KMU-Verband, in dem wir auch Mitglied sind, diese Finanzierungsmöglichkeit für „unseren“ KMUKapitalmarkt durchgeboxt hat. Ich befürchte allerdings, dass dieser Lösungsweg nur für wenige Emittenten in Frage kommt. Zum einen benötigen sie als Antragssteller einen Wertpapierprospekt, zum anderen aber auch Investoren, da das Kapital nicht vom WSF zur Verfügung gestellt wird. Die „WSF-Anleihe“ ist zudem, nach unserer aktuellen Einschätzung, in Bezug auf Laufzeiten, Fälligkeiten und Ausgestaltung/Struktur ein recht unflexibles Instrument im Vergleich zu den seitens des WSF zur Verfügung gestellten Alternativen.

BondGuide: Herr Speidel, ganz herzlichen Dank für Ihre Zeit und die überaus spannenden Einschätzungen!

Das Interview führte Falko Bozicevic.

Quelle: bondguide-24-2020.pdf